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15.01.2022

Konferenz, Lesetipp

Nachhaltig digital im Quartier – Die UTOPOLIS Online-Konferenz „Neue Formate der Stadtteilarbeit“

Von: KRISTINA RAHE

Man nehme: ein virtuelles soziokulturelles Zentrum, 25 Avatare, eine Portion Experimentierfreude sowie ein engagiertes Team und viele weitere helfende Köpfe und Hände. Die Zutaten für das „Rezept“ Online-Konferenz, mit denen der Bundesverband Soziokultur am 16. und 17. September 2021 im Rahmen des Bundesprogramms „UTOPOLIS – Soziokultur im Quartier“ zwei interaktive Tage auf der 2D-Plattform WorkAdventure gestaltete, waren zunächst den Rahmenbedingungen der Pandemie geschuldet.

Geplant war ursprünglich eine Präsenz-Veranstaltung im September 2020. Unter dem Titel „Soziokultur nachhaltig im Quartier“ hätte diese sich nahtlos eingliedern können in die Reihe der Fachveranstaltungen zur (kulturellen) Stadtteilarbeit, die das UTOPOLIS-Programm seit Förderbeginn im Herbst 2018 durchführt. Aus bekannten Gründen kam alles anders; die Konferenz wurde in das Folgejahr verschoben und online angeboten. Schnell war klar: Das Motto „Neue Formate in der Stadtteilarbeit“ sollte die Situation der vergangenen eineinhalb Jahre mit optimistischer Blickrichtung zum Thema machen. Die Auswirkungen der Pandemie hatten selbstverständlich auch den Kulturbereich hart getroffen, insbesondere die kleinen soziokulturellen Zentren und Initiativen waren mit immensen Unsicherheiten und Existenzängsten konfrontiert. Doch nach einer ersten Schockstarre reagierten viele Akteur*innen durchaus mit Energie, Flexibilität und Kreativität auf die Situation.

Digitale und hybride Formate wurden entwickelt, um die Menschen weiterhin zu vernetzen, teilhaben zu lassen und die Quartiere trotz Kontaktbeschränkungen weitestgehend lebendig zu halten. Diese positive Dynamik und die Fragestellung, was an den unter Ausnahmebedingungen erprobten und eingesetzten Formaten auch in (hoffentlich bald kommenden) Nach-Pandemiezeiten spannend für die künstlerische Nachbarschaftsarbeit sein könnte, sollten somit als inhaltliche Klammer im Fokus der Konferenz stehen.

Digitale Weiterbildung erwünscht!
Der Schwerpunkt wurde dabei auf Digitalformate gelegt, die sich maßgeblich von der bisherigen Projektarbeit im Quartier unterschieden. Bisher lebte das UTOPOLIS-Programm von seinem aufsuchenden Ansatz, also der Präsenz an öffentlichen Orten wie Marktplätzen, Stadtparks, Einkaufszentren, Spielplätzen oder Ladenstraßen. Künstlerische Aktionen machten neugierig und luden Anwohner*innen zum Verweilen, Mitmachen und zum sozialen Miteinander ein. Während der Kontaktbeschränkungen galt es, Methoden zu entwickeln, die weiterhin eine Adressierung und Aktivierung der Anwohnerschaft ermöglichten. Der experimentelle Charakter des UTOPOLIS-Programms bot dabei einen großen Spielraum für die Erprobung neuer digitaler Formate. Die Bandbreite reichte von Online-Foto-Galerien wie dem Format … Guckst du Straße …? der Wuppertaler Färberei, bei dem während des ersten Lockdowns Anwohner*innen ihren Blick auf die Straße als kommentiertes Foto einreichen konnten, über Online-Tutorials zu verschiedensten Kunstformen, wie im saarländischen Neunkirchen von jugendlichen Anwohner*innen in Eigenregie vorgestellt, bis hin zu Materialboxen und Kulturbeuteln, mit denen der Nachbarschaft mithilfe digitaler und analoger Gebrauchsanweisungen gestalterische Aktivitäten nähergebracht wurden.

Der Bedarf am Ausbau medialer Kompetenzen war auch in einer Blitzumfrage im April 2021 deutlich geworden, mit der der Bundesverband Soziokultur die aktuelle Lage in soziokulturellen Zentren und Initiativen sowie weiteren Kultur- und Literaturzentren ermittelte. Ein Thema der Umfrage betraf den Fortbildungsbedarf hinsichtlich der Arbeit mit neuen Formaten: 58 Prozent der befragten Einrichtungen gaben an, eine Weiterbildung für digitale Formate im Rahmen von Seminaren, Tagungen und Konferenzen zu benötigen. 48,3 Prozent wünschten sich Weiterbildungen zur Vermittlung von Medienkompetenz an verschiedene Zielgruppen; 80,5 Prozent wollten sich gerne im Bereich der digitalen Formate in der Kulturvermittlung fortbilden. Die Konferenz ging somit auch auf diese geäußerten Notwendigkeiten ein.

Von der VR-Tour im Quartier bis zum Digital Storytelling
Zielgruppe waren Akteur*innen der (kulturellen) Stadtteilarbeit: Mitwirkende aus den Modellstandorten und weiteren soziokulturellen Zentren, aus Quartiersmanagement, Kultureinrichtungen, Nachbarschaftshäusern und Sozialvereinen; Künstler*innen; Fachkräfte der Jugendarbeit und der kulturellen Bildung; Verantwortliche aus Politik, Wissenschaft und Verwaltung. Unter den Teilnehmenden waren auch die UTOPOLIS-Projektakteur*innen aller 16 Standorte, die auf einer Projektmesse Ausschnitte ihrer Arbeit präsentierten.
Konzeptionell waren für den ersten Tag diskursive LABs geplant mit Inputs, die zum Austausch über das Thema einluden, und am zweiten Tag Methoden und Tools zum praktischen Ausprobieren im Workshop-Format. Zunächst wurden den UTOPOLIS-Projektakteur*innen per Online-Umfrage konkrete Themenvorschläge zur Abstimmung gegeben. Dabei wurde eruiert, welche weiteren Themen als interessant für die Arbeit im Stadtteil und damit für die LABs und Workshops benannt würden. Das wichtigste Ziel war, den Teilnehmenden der Konferenz digitale Ansätze und Methoden der Stadtteilarbeit zu vermitteln. Es ging in den Workshops um das Kennenlernen von interaktiven künstlerischen Formaten („InteraktiveTheatermethoden“, „Digitales Storytelling“ und „Ideen visualisieren“) und Hybrid-Ansätzen, die computerbasierte und analoge Ansätze verbinden („Minecraft in der Stadtteilarbeit“, „VR-Tour im Quartier“, „Game Design“), sowie die Nutzung bestehender Online-Tools für die eigene Arbeit(„Erklärfilme produzieren“, „Zielgruppen erreichen mit Facebook und Instagram“ und „Youtube im pädagogischen Kontext“) sowie last but not least der Umgang mit digitalen Falschnachrichten („Verschwörungstheorien“).
Darüber hinaus war eine wichtige Prämisse, dass nicht nur die Methodik der Workshops, sondern auch das Setting der Konferenz experimentell und spielerisch sein und sich von der „Nicht-Ästhetik“ bestehender Konferenzsysteme abheben sollte. Mit der Open-Source-Plattform „WorkAdventure“der französischen Agentur The Coding Machine wurde für alle Neuland betreten: In der virtuellen 2D-Landschaft wurde ein soziokulturelles Zentrum als Konferenzhaus nachgebaut, in dem sich die Teilnehmenden mit Avataren bewegen und miteinander per Videochat kommunizieren konnten.

Das Feedback im Nachgang der Veranstaltung per Online-Evaluation war hinsichtlich der Tagungsatmosphäre, des technischen Supports, des Zeitmanagements und der Inhalte und Methodik der LABs und Workshops überwiegend positiv. Für ausnahmslos alle Workshops wurde eine Wiederholung gewünscht. Dies konnte mit einer weiteren Konferenz im Jahr 2021 unter dem Motto "Neue Formate REMIXED" am 16. und 17. Dezember bereits umgesetzt werden. Über hundert Fachkräfte und Interessierte aus der kulturellen Stadtteilarbeit traten in gegenseitigen Austausch, brachten ihre jeweiligen Expertisen und Perspektiven ein und bildeten sich in den 20 Workshops fort.

In der Online-Auswertung im Nachgang der Konferenzen wurden außerdem neue Themen für zukünftige Fortbildungen vorgeschlagen, unter anderem eine grundlegende gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit digitaler Kommunikation, außerdem die Erreichung spezifischer Zielgruppen, Partizipation von Kindern und Jugendlichen, digitale Akquise von zivilgesellschaftlichem Engagement, der Umgang mit digitalen Tools sowie das große Thema „Nachhaltigkeit in der Stadtteilarbeit“. Letzteres wird nun tatsächlich das Thema für die kommende Jahreskonferenz am 13. und 14. September 2022 sein, für die noch die Formatfrage zu klären wäre.

Abbildungen: Screenshots mit Eindrücken der Konferenz

Autor*innen

  KRISTINA RAHE Projektleitung "UTOPOLIS - Soziokultur im Quartier" kristina.rahe@soziokultur.de

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