Am 18. Juni wurde rund um den Liegnitzplatz das Mikro-Festival des Projekts Europa Zentral in vierter Auflage gefeiert. Die Freude sei nach zwei Jahren unter Pandemie-Bedingungen groß, „einfach mal wieder zusammen zu kommen und gemeinsam den Tag zu genießen“, so Organisatorin Valesca Fix von Kultur Vor Ort, die die Veranstaltung gemeinsam mit ihrer Kollegin Ralitza Remmers eröffnete.
Mit musikalischer Begleitung durch die Boyko-Band erobert anschließend die Kindertanzgruppe der deutsch-bulgarischen Gesellschaft Dunav den Liegnitzplatz und die Herzen der Zuschauer*innen. Handys werden gezückt und streamen die Performance zu Freund*innen und Verwandten in die Welt. Die zwölfköpfige Kindercombo – elf Mädchen und ein Junge – tanzt erst seit wenigen Monaten zusammen und probt dafür wöchentlich. Ihr größter Wunsch: „Wir möchten auch mal in anderen Städten wie Dortmund auftreten.“ Ihnen folgt die Frauentanzgruppe Magie, die sogar das Publikum zum Mittanzen der komplizierten Polyrhythmen bewegen kann.
Danach besteht Gelegenheit die Umgebung zu erkunden. In einer Jurte werden textile Dekorationsobjekte in grellen Farben geknüpft, im Mädchentreff Henna-Tattoos aufgetragen. Unter dem vielfältigen Gastroangebot – von Grill über Falafel und Matoke bis hin zu Bioprodukten der Sozialen Manufakturen und dem Nachbarschaftsbuffet – ist am Nachmittag der Eiswagen von Rubino besonders von den kleinen Gröpelinger*innen umlagert. Mittendrin Kontaktpolizist Marc Niemann, den die Kids lässig mit Ghetto-Faust begrüßen. Bereitwillig gibt er Auskunft zu Fragen wie „Herr Polizist, wie alt bist du?“
Bei sommerlichen Temperaturen ist das Areal rund um den Liegnitzplatz bereits am Nachmittag gut besucht. Anwohner*innen sitzen vor ihren Haustüren oder flanieren über den auffällig sauberen Spielplatz. Alter Baumbestand spendet Schatten. Die Wege sind so breit, dass Flohmarkt- und Essensstände sowie Passant*innen problemlos Platz finden. Der Durchgangsverkehr ist ausgesperrt. Entspannte Menschen, gutes Wetter, harmonisches Miteinander, internationale Atmosphäre. Ohne Frage. So besitzt das Liegnitzquartier enorme Aufenthaltsqualität.
Der Alltag sieht jedoch anders aus: Der Liegnitzplatz ist oft voller Müll, so dass schon Ratten gesichtet wurden. Kinder können und wollen dort nicht spielen. Bürgersteige und Radwege sind zugeparkt mit PKWs und Transportern, Autofahrer rasen mit überhöhter Geschwindigkeit durchs Wohnquartier. Der Stresspegel ist hoch und entlädt sich nicht selten in Aggression. Das sind die Hotspot-Themen, zu denen Lutz Liffers Interessierte mit auf einen „Liegnitz-Walk. Expedition Müll“ nimmt. Am Stand der Bremer Stadtreinigung, wo es neben mehrsprachiger Beratung auch kostenlose Bremer Müllsäcke gibt, stellt sich die Frage: Lässt sich gesellschaftlicher Wohlstand am Müll ablesen? Am konkreten Beispiel in der Geeststraße 134 wird das Paradoxon von Wohnraumbedarf und jahrzehntelangem Leerstand an einer prominenten Bauruine anschaulich. Und schließlich geht es um die absurde Situation, dass das Votum Gröpelinger Jugendlicher, auf der Johann-Kühn-Straße eine temporäre Spielstraße einzurichten, zu scheitern droht, weil sich diese zu nahe am Liegnitz-Spielplatz befindet, einem Platz, der (wie gesagt) dringend saniert werden muss, damit ihn Kinder überhaupt nutzen können. Vorschläge dazu sammelt der Verein Spiel Landschaft Stadt an einem Stand. Für heute ist die glatt asphaltierte Johann-Kühn-Spielstraße für einige Stunden Realität und wird von der Spielplatz Initiative West, dem „Bemil“-Parcours, bewegungshungrigen Kindern auf Rollerblades und dem Mobilen Atelier in Beschlag genommen.
Gegen Abend geht das Livemusik-Programm weiter. Süd-osteuropäische Folklore, dargeboten vom Chor Klänge und Gänge mischt sich mit den Auftritten lokaler Rapper*innen. Dazwischen performt die spontan eingetroffene Sosolya Undugu Dance Academy aus Uganda und wird gefeiert: „Die müssen nächstes Jahr wiederkommen!“ Schließlich lässt die Gröpelinger Band Sercan Music den Abend ausklingen.
Ob Mikrofest oder Großveranstaltung, das Thema Nachhaltigkeit spielt inzwischen auf jedem Festival eine Rolle. Das Mikro Festival setzt seit Beginn 2018 unter dem Motto No Plastic auf Müllvermeidung. Im Stadtteil wurden zuvor Geschirr und Besteck gesammelt und mit Freiwilligen wieder eine „Waschstraße“ aufgebaut.
Auch Julia Hans, die vom Bundesprogramm „Utopolis – Soziokultur im Quartier“ eigens aus Berlin angereist ist, lobt die offene, friedliche Atmosphäre und fühlt sich „sehr willkommen“. Das Festival hätte mit einer „lockeren Mischung“ aus Musik, Gastro und Inhalten überzeugt. Es zeigt, wie Zusammenleben auch gehen kann: Solidarität statt Gegeneinander. Interesse statt Ignoranz. Nachhaltigkeit statt Müll. Kaum auszumalen, dass mangels Projekt-Finanzierung das Mikro Festival #04 das letzte sein könnte…