Die migrationsbedingte Vielfalt in den europäischen Städten ist eine Realität, jedoch ist diese im Kultursektor in den meisten Städten bis dato noch nicht anerkannt. Künstlerische Produktionen, die bisher zumeist unter "Interkulturalität" zusammengefasst sind und sich oftmals mit Themen rund um Sprache, Identität oder Migration befassen, werden bisher nicht als Teil des regulären Kulturbetriebs wahrgenommen, sondern als Parallel- oder Migrationsprogramme. Die Trennung zwischen Migration und Kunst/Kultur ist eine künstliche Trennung. Öffentlich finanzierte Kulturinstitutionen - soziokulturelle wie große Hochdotierte - werden sich zunehmend mit der Frage auseinandersetzen müssen, was sie als Orte der sozialen Reflexion in Migrationsgesellschaften erreichen können und sollen. Welche Verantwortung sie für die Gesellschaft und die Bevölkerung tragen. Die wesentliche Frage, die auch die konzeptionelle Grundlage der Brunnenpassage in Wien ist, lautet: Wie können wir (institutionalisierte) Kunstpraktiken etablieren, die für die gesamte Bevölkerung relevant sind und damit langfristig ein kollektives Zusammenleben abseits von Herkunft und sozialer Klasse ermöglichen?
Der ArtSocialSpace Brunnenpassage in Wien ist seit 2007 Labor transkultureller Kunst. In der ehemaligen Markthalle am Wiener Brunnenmarkt finden jährlich über 400 Veranstaltungen statt. Das transdisziplinäre Programm reicht von Theater und Tanz über Musikformate bis hin zu Ausstellungen und Film. Die Produktionen der Brunnenpassage nehmen die Gesellschaft in ihrer gesamten Vielheit zum Ausgangspunkt des künstlerischen Schaffens. Die Kunstproduktionen entstehen in Ko-Kreation zwischen professionellen Künstler*innen und Menschen aus der Zivilgesellschaft, sie fördern Begegnung auf Augenhöhe. Das Bekenntnis zu Diversität auf allen Produktionsebenen ist grundlegend. Ziel ist künstlerisch transkulturell, transdisziplinär, mehrsprachig, multi-perspektivisch und intergenerational zu agieren. Künstlerische Qualität und gesellschaftspolitische Ziele werden verbunden, um neue kollektive Räume für ein heterogenes Publikum zu schaffen und neue ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen.
Die Brunnenpassage beschäftigt sich konzeptuell mit der Frage, wie Kunst für möglichst breite Teile der Bevölkerung interessant sein kann, und begreift Kunstprozesse als Tool für sozialen Wandel. Die Brunnenpassage ist ein lernender Raum, Reflexion und Wissenstransfer sind Teil der alltäglichen Praxis, um die gewonnen Erkenntnisse anderen Akteur*innen zur Verfügung zu stellen. Mehrjährige Kooperationen mit etablierten Kulturinstitutionen der Wiener Innenstadt sind Teil des künstlerischen Kernkonzepts. Oft profitieren die sogenannten Kulturtanker von der transkulturellen Kompetenz und urbanen Verankerung der Brunnenpassage - umgekehrt werden in der Zusammenarbeit neue Räume und Bühnen in der Innenstadt erschlossen.
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